Johannes Blum – „Mensch de l’année“ 2016

Video-Interviews mit über 1.300 Überlebenden der Konzentrations- und Vernichtungslager, jüdischen und nicht jüdischen Widerstandskämpfern, versteckten Kindern und anderen Überlebenden der Schoa hat Johannes Blum ab 1987 geführt. Wie kommt er dazu, sein Leben der Erinnerung zu widmen?

Johannes Blum wird am 23. Dezember 1942 in Salzburg als Kind deutscher Eltern geboren. 1945 zieht seine Mutter mit ihm und seiner Schwester nach Deutschland. Sein Vater wird vermisst. Als Johannes 1963 einen belgischen Widerstandskämpfer trifft, versucht er mit seiner Mutter über die Einstellung der Familie zum Nationalsozialismus zu sprechen. Zu dieser Zeit wird jedoch über dieses Thema nicht gesprochen, denn die Deutschen waren ja alle „Opfer“ des Hitlerregimes.

Boortmeerbeek, 2007: Johannes Blum mit dem belgischen Widerstandskämpfer David Lachmann (Mitte) im Rahmen einer Veranstaltung in Erinnerung an den Überfall auf den 20. Deportationszug nach Auschwitz.

© Adrian Stellmacher

Mit der Dokumentation Johannes Blum: Resistance. Père Bruno Reynders, juste des nations, Bruxelles, Carrefours de la cité, 1993, veröffentlicht er ein Standardwerk mit umfassendem Archivmaterial über Pater Bruno Reynders, der mit dem nach ihm benannten Netzwerk rund 380 jüdische Kinder und Erwachsene vor den deutschen Verfolgern retten konnte.

© Johannes Blum

Fröndenberg, 11. November 1987:
Sonja Goldmann, Sarah Goldberg, Maryla Dyament-Michalowski und Hélène Weissberg mit Johannes Blum und Bürgermeister Demmer vor der Tafel, die der Ermordung von vier Widerstandskämpferinnen in Auschwitz gedenkt. Die von Johannes Blum begleiteten Frauen waren Kameradinnen der vier Widerstandskämpferinnen.

© Johannes Blum

Vergangenheitsbewältigung und Begegnung mit Überlebenden

Johannes trägt schwer an dem Gewicht einer unerträglichen Vergangenheit:

Die Deutschen hielten das Bild ihrer eigenen Viktimisierung aufrecht, ohne zu merken, dass andere durch sie Opfer geworden waren. Ich habe mich von diesem Land distanziert, das u.a. mit Auschwitz die rote Linie für mich überschritten hat.

(Interview Johannes Blum, Artikel Paul Vaute, La Libre Belgique, 2003)

1969 lässt er sich dauerhaft in Belgien nieder und erhält die belgische Staatsangehörigkeit. Er studiert deutsche Philologie und Geschichte an der Universität Saint-Louis in Leuven. Ab 1973 gibt er als Gymnasiallehrer Deutschunterricht. Er begegnet Personen, die im Widerstand waren und er fühlt ihre Reserviertheit ihm gegenüber.

1987 kommt Johannes Blum mit den Schoa-Überlebenden Sonja Goldmann, Sarah Goldberg, Maryla Dyament-Michalowski und Hélène Weissberg in Kontakt und begleitet sie nach Fröndenberg im Sauerland zu einer Erinnerungsveranstaltung.

Die Fröndenberger Firma Weichsel-Union-Metallwerke unterhielt am Ende des Kriegs ein Zweigwerk in Auschwitz, in dem die KZ-Häftlinge Regina Saphirstein, Alla Gärtner, Ester Weissblum und Rosa Robota Zwangsarbeit leisten mussten. Den Frauen gelang es, über einen längeren Zeitraum Sprengstoff aus der Fabrik heraus zu schmuggeln. Sie ermöglichten so den bewaffneten Aufstand der Häftlinge des „Sonderkommandos“ in den Krematorien III und IV in Auschwitz-Birkenau am 7. Oktober 1944. Nach monatelanger Folter wurden die vier Widerstandskämpferinnen am 6. Januar 1945 auf dem Appellplatz hingerichtet. Die von Johannes Blum begleiteten Frauen waren Kameradinnen der vier Widerstandskämpferinnen.

Les Compagnons de la Mémoire

Das Hören der Geschichten dieser Frauen macht ihm bewusst, wie wichtig es ist, diese für zukünftige Generationen festzuhalten. Mit dem Ziel, Zeitzeugeninterviews zu dokumentieren, gründet er im Jahre 1993 die Organisation Les Compagnons de la Mémoire, die u.a. mit der Aufzeichnung von Interviews, Publikationen und der Organisation von Begegnungen Schüler auf die Realitäten von gestern aufmerksam machen und gleichzeitig Brücken zur Gegenwart bauen will.

Die Zeugenaussagen vermitteln uns, laut Johannes Blum, wesentliche Werte für heute und morgen sowohl für unser privates wie auch für unser öffentliches Leben.

Ein Lebenswerk

Im Lauf der Jahre führt Johannes Blum eine große Anzahl an Interviews und betrachtet dies als sein Lebenswerk.

Im Jahr 1991 gelingt es ihm, ein Denkmal für Pater Père Bruno Reynders errichten zu lassen und mehr als 300 Kinder aufzuspüren, die von diesem während der deutschen Besatzung versteckt wurden. 1993 veröffentlicht er das Buch: „Résistance. Père Bruno Reynders. Juste des Nations“. Im Jahr 2003 wendet er sich an das Jüdische Museum für Deportation und Widerstand, heute Kazerne Dossin, in Malines/Mechelen. Seine Sammlung wird in das Archiv des Museums aufgenommen und seine Sammlung befindet sich ebenfalls in der Fondation Auschwitz in Brüssel.

2016 erhält Johannes Blum vom Centre Communautaire Laïc Juif die Auszeichnung „Mensch de l’année“ („Mensch des Jahres“) als Zeichen der Anerkennung für seine richtungsweisende Arbeit. CM