Aus dem gesamten Deutschen Reich können 1938 und 1939 etwa tausend jüdische Kinder der Ausgrenzung und Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland entkommen: In 17 Kindertransporten werden sie nach Belgien in Sicherheit gebracht – eine nur vorläufige Sicherheit, wie sich spätestens im Mai 1940 herausstellt.
Auch wenn die Ausgrenzung und Entrechtung der Jüdinnen und Juden in Deutschland schon 1933 begonnen hat und immer weiter fortgeschritten ist, zeigen die meisten Staaten in Europa und Übersee kaum Bereitschaft, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Unter dem Eindruck des Novemberpogroms 1938 lässt Großbritannien 10.000 jüdische Kinder und Jugendliche einreisen. Auch andere europäische Staaten nehmen in geringerem Maße Kinder auf.
In Belgien verfügt der Justizminister am 22. November 1938 die Einreise sowie den zeitlich begrenzten Aufenthalt von 250 Kindern und Jugendlichen und Mitte Januar 1939 von weiteren 750. Die Genehmigung findet unter der Voraussetzung statt, dass die Organisation des Transports und vor allem der Unterhalt der Kinder in Belgien privat finanziert werden müssen, was das Engagement von vielen Familien, Einzelpersonen und Hilfskomitees erfordert. Hauptsächlich stellen das Comité d‘Assistance aux Enfants Juifs Réfugiés (CAEJR) in Brüssel und das Comité Voor Het Joodsche Kind van Duitschland in Antwerpen den organisatorischen Ablauf sicher.
Die zentrale Organisation im Deutschen Reich liegen bei der Abteilung Kinderauswanderung der Reichsvertretung der Juden in Deutschland in Berlin sowie bei der Abteilung Kinderauswanderung der Fürsorgezentrale der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien. Nur durch den Einsatz von Sozialarbeiterinnen wie Käte Rosenheim in Berlin und Rosa Rachel Schwarz in Wien und vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern, deren Namen heute oftmals vergessen sind, kann die Ausreise von nahezu 1.000 Kindern gelingen. Für das Rheinland übernimmt der Provinzialverband für jüdische Wohlfahrtspflege in der Rheinprovinz mit Sitz in Köln zentrale Organisationsaufgaben.
Der Stadt Köln kommt im Folgenden aufgrund ihrer geografischen Lage und der Größe der jüdischen Gemeinde eine besondere Rolle zu. Aus allen Regionen des damaligen Deutschen Reichs erreichen Kinder, deren Transportgenehmigungen vorliegen, den Kölner Hauptbahnhof. In den Räumen des Wohlfahrtsamts der Synagogengemeinde Köln in der Rubensstraße 33 werden sie zunächst versorgt. Kölner jüdische Familien nehmen die Kinder auf, die noch eine Nacht warten müssen, bis ihr Zug nach Belgien abfährt. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Provinzialverbands begleiten die Kinder schließlich zum Zug, der über Aachen und Herbesthal nach Brüssel oder Antwerpen fährt.
Die in Belgien ankommenden Kinder werden in Kinderheimen oder privat bei belgischen jüdischen und nicht-jüdischen Familien untergebracht. Ein nicht unerheblicher Teil der Kinder hat Verwandte im Land, die sie aufnehmen können. Die Kinder sind somit dem Zugriff der deutschen Verfolger entzogen. Das ändert sich am 10. Mai 1940 mit der deutschen Besetzung Belgiens radikal. Von den fast 1.000 Kindern, die mit den Kindertransporten Belgien erreichen, fallen vermutlich ein Drittel der Schoa zum Opfer. AS, ÄW