Adi Bader kann sich bis heute sehr lebhaft an seinen Aufenthalt in den Kinderheimen in Brüssel und Wezembeek erinnern. Seine Eltern haben ihn nach dem Novemberpogrom auf einem Frachtschiff von Duisburg nach Antwerpen schmuggeln lassen, da sich eine legale Ausreise, etwa mit einem Kindertransport, nicht realisieren lässt. Sein Schicksal in Belgien während der Schoa ähnelt dem vieler Kindertransportkinder.
Unser Kinderheim befand sich in der Chaussée de Malines. Die Leiterin war Madame Albert. Sie war allgegenwärtig, streng und gerecht zugleich. Sie strahlte auch eine mütterliche Wärme aus. Ihr Haar trug sie immer nach hinten, wie eine Krankenschwester. Im Wezembeeker Heim waren knapp 100 jüdische Kinder. Die Jüngste unter uns, Reisele, war gerade zwei Jahre alt. Sie war eines der Kinder, die aus dem Sammellager in Malines geschmuggelt worden waren. Die Ältesten waren bereits junge Erwachsene, achtzehn, manche sogar neunzehn Jahre alt.
Wir Kinder waren in sechs Gruppen eingeteilt. In meiner Gruppe, Kwutzah Jehuda, befanden sich zwölf Kinder. Unser Rosch [Leiter] war Harry, der aus Belgien stammte. Tagsüber nahmen wir an Peulot [Aktivitäten] teil, in denen jüdische Kultur, zum Beispiel in Form hebräischer Lieder, beigebracht wurde. Wir spielten viele Gemeinschaftsspiele, die oft einen Pfadfinderhintergrund hatten, zum Beispiel Sternenkunde, Knotenbinden und Hürdenspringen. Auch mit Brettspielen vertrieben wir uns die Zeit. Ich langweilte mich nie und machte auch keinen Blödsinn.
Im Erdgeschoss befand sich, abgetrennt durch eine Tür mit Bleiverglasung, unsere kleine Synagoge. In einer anderen Ecke war unsere Bibliothek. Eine Zeit lang war ich gemeinsam mit Edith, die aus Wien stammte, für die Bibliothek verantwortlich. In dieser Zeit las ich viel, am liebsten waren mir Abenteuerromane von Jack London, Cowboybücher und Nick-Knatterton-Geschichten.
Ab und zu suchte die Gestapo unangekündigt das Kinderheim auf. Dann mussten wir Kinder uns mit ausgestreckten Armen auf unsere Betten hinlegen, und die Deutschen zählten uns ab, um sicherzustellen, dass sich nicht andere als die offiziell mitgeteilten Kinder im Heim befanden. Das war eine der seltenen Situationen, in denen ich wirklich Angst hatte.
Die Untergrundbewegung riet dazu, uns möglichst viel außerhalb des Heims aufzuhalten. So gingen wir stundenlang im Wald spazieren und spielen. In unsere gelb-grünen Uniformen gekleidet, die kleinen Umhänge am Kragen mit einem Kettchen zusammengehalten, sahen wir aus wie Pfadfinder, wenn wir uns auf den Weg entlang der Hauptstraße von Wezembeek zum Wald aufmachten. Auf unseren Umhängen trugen wir den Judenstern.